Zuletzt aktualisiert am 1. Juli 2018 um 21:40
Konfliktmoderation: meine Reportage im Deutschlandfunk:
von Robert B. Fishman
Bielefeld. „Zoff in der Flüchtlingsunterkunft: Geflüchtete gehen mit Eisenstangen aufeinander los“ – immer wieder bringen solche Schlagzeilen Zeitungsleser gegen Flüchtlinge auf. Ehrenamtliche Helfer und auch Sozialarbeiter sind mit den Konflikten unter traumatisierten Flüchtlingen und deren Ärger mit Wachleuten oder Behörden oft überfordert.
In Bielefeld bildet das Deutsche Rote Kreuz deshalb Ehrenamtliche und Profis in der Flüchtlingshilfe zu Konfliktmoderatoren aus. Ähnliche Angebote gibt es in Hamburg und München. In zehn eintägigen Workshops lernen die Teilnehmer in Konflikten zwischen Flüchtlingen oder zwischen Geflüchteten und Einheimischen zu vermitteln: Deeskalationstechniken, „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshal Rosenberg und mehr Handwerkszeug für Konfliktentschärfung üben die Teilnehmer vor allem in Rollenspielen. Unser Autor Robert B. Fishman hat die Ausbildung zum Konfliktmoderator in Bielefeld mitgemacht.
„Was bedeutet es für Sie, wenn Sie die Entschuldigung von Herrn Mustafa hören und seine Bereitschaft, den Schaden zu ersetzen?“, fragt Arne mit ruhiger, eindringlicher Stimme. Dabei schaut er Sandra intensiv an. Die 29jährige nimmt ihre Rolle als Hans ernst, hat sich voller Energie in Wut und Ärger hineingesteigert. Sie spielt den Nachbarn einer Flüchtlingsunterkunft. Mustafa hat den 86jährigen auf dem Bürgersteig über den Haufen gerannt. Den Blick aufs Handy gerichtet, Stöpsel in den Ohren, übersah der junge Afrikaner den Anwohner. Der ist stinksauer, ärgert sich, dass ständig Tomaten aus seinem Gemüsegarten verschwinden, seit „diese Ausländer“ nebenan wohnen. Verständigen könne man sich mit „denen“ nicht. Benehmen fehle ihnen auch.
Konfliktmoderator Arne fragt nach, wie er es gelernt hat: Aktives Zuhören. Das Gesagte zusammenfassen und sich rückversichern, ob man die Konfliktpartei richtig verstanden hat.
versöhnlichere Töne
Sandra alias Nachbar Hans schlägt allmählich versöhnlichere Töne an. „Mir kommt es auf den Respekt an. Wenn man einen alten Mann wie mich umrempelt, muss man sich entschuldigen. Gut, er hat es gemacht.“
In solchen Rollenspielen üben die angehenden Konfliktmoderatoren in einem Kurs des Roten Kreuzes in Bielefeld die Bearbeitung von Konflikten. Das Ziel: beide Seiten zu einer Lösung bringen. Das Handwerkszeug: Klare Regeln vereinbaren, Vertrauen aufbauen, aktives Zuhören und Bedürfnissen auf den Grund gehen, die hinter Wut, Ärger und Enttäuschung stehen.
Die angehenden Moderatoren trennen Fakten von Unterstellungen. Letztere sind verboten, ebenso Beleidigungen oder dazwischen reden. Jeder darf aussprechen.
Die 15 Kursteilnehmer, einige von ihnen selbst Zugewanderte aus der Türkei, dem Irak, Peru oder Pakistan arbeiten mit Flüchtlingen.
Meist stecken hinter vermeintlich kulturellen oder scheinbar sachlichen Differenzen vernachlässigte Bedürfnisse, zum Beispiel nach Anerkennung und Wertschätzung. Die gilt es, in der Moderation herauszuarbeiten.
Hinter jedem Ärger steckt ein Bedürfnis
Nachbar Hans wünscht sich Respekt. Flüchtling Mustafa, der ihn versehentlich umgerempelt hat, geht es genauso. Verständlicherweise ärgert sich der alte Mann, dass sein Gemüse aus dem Garten geklaut wird. Dass die Diebe aus der Flüchtlingsunterkunft kommen, behauptet er, weil er den Neuankömmlingen misstraut. Mustafas Entschuldigung hat er nach dem Zusammenstoß überhört. Auch wusste er nicht, dass der junge Flüchtling ständig auf sein Handy schaut, um möglichst schnell Deutsch zu lernen. Auf dem Smartphone läuft eine Sprachlern-App. Je mehr Hans über die Hintergründe erfährt, desto schneller weicht sein Ärger einem Verständnis. Die Wut lässt nach. Der Weg für eine Lösung öffnet sich.
In der vorletzten Phase unterbreiten sich die beiden gegenseitig Angebote, die sie auf Moderationskarten schreiben. Der jeweils andere darf sich daraus bedienen. „Wenn bis hier alles gut gelaufen ist, reden die Konfliktparteien jetzt miteinander und finden selbst Lösungsvorschläge“, erklärt Trainerin Gisela Kohlhage. Sie laden sich zum Beispiel gegenseitig zum Essen ein. Mustafa bietet dem alten Mann Hans an, ihm im Garten und beim Einkaufen zu helfen.
Der Weg zu einem solchen Happy End ist oft lang und mühsam. Da gibt es Aishe und Ali, ein Paar aus Syrien, das mit Alis im Krieg schwer verletztem pflegebedürftigen Vater in einem Zimmer einer Flüchtlingsunterkunft wohnt. Ali möchte, dass sich seine Frau um den kranken Mann kümmert. Er will Deutsch lernen, möglichst schnell arbeiten und Geld verdienen. Sie dagegen möchte das neue Land kennen lernen und sich sozial engagieren.
Unter Anleitung moderieren die Kursteilnehmer den Fall in Rollenspielen, bis die beiden sich über ihre Bedürfnisse im Klaren werden: Ankommen in der neuen Heimat, Autonomie, Sicherheit. Ali will seinen Vater gut versorgt wissen und vor seinen Freunden nicht als Versager dastehen, weil seine Frau zu eigenständig wird. Vertrauen ist wichtig. Die beiden versprechen sich gegenseitig, den Partner zu informieren, was sie vorhaben und wohin sie gehen. Sie vereinbaren feste Zeiten, wann der jeweils andere frei hat und wer wann welche Aufgaben übernimmt. Daraus entsteht eine Übereinkunft, die sie gemeinsam unterschreiben.
Für Trainerin Gisela Kohlhage haben auch scheinbar religiös oder kulturell begründete Konflikte meist einen banalen Hintergrund.
Viele Muslime zum Beispiel mögen es nicht, wenn Fremde ihre Wohnung mit Straßenschuhen betreten. Im christlich geprägten Schweden und den meisten asiatischen Ländern ist das nicht anders. Letztlich geht es dabei nicht um Religion, sondern um Respekt vor dem anderen und um Hygiene.
Auch um Mädchen und junge Frauen, die abends alleine unterwegs sind, sorgen sich nicht nur islamische Eltern. Trainerin Gisela Kohlhage empfiehlt, die Kindern zu stärken, indem man sie zu mehr Selbstbewusstsein ermutigt. Wer gelernt hat, klar nein zu sagen und den eigenen Gefühlen zu vertrauen, kann sich vor Angriffen besser schützen.
Konflikte entstehen aus Missverständnissen
Viele Konflikte beruhen nach Erfahrung der ausgebildeten Mediatorin auf Missverständnissen. Interkulturelle Probleme sind für sie eher selten, weil die meisten Menschen „doch ähnliche Wünsche haben“. Sie wollen in Frieden sicher leben, sich geachtet und geschätzt fühlen, brauchen Freiheit und Anerkennung.
Die Werte und Bedürfnisse der Beteiligten liegen gar nicht so weit auseinander, wie es auf den ersten Blick scheint.
Mohamed spielte eben noch die Rolle des ungestümen Flüchtlings Mustafa. Der Pakistani arbeitet als Sicherheitsmann in einer Flüchtlingsunterkunft. Die Konflikte, die die Kursteilnehmer durchgespielt haben, erlebt er häufig im Arbeitsalltag. Die Methoden, die er hier gelernt hat, kann er dort „gut gebrauchen.“
Auch den deutschen Teilnehmern hat die Ausbildung gefallen. Gunter Möllmann arbeitet als freier Regisseur an Theatern in ganz Deutschland – oft auch mit Geflüchteten. Der Theatermann hat trotz reichlich Erfahrung in der Arbeit mit Menschen und ihren Gefühlen „viel im Kurs gelernt“. Vor allem freut sich der 63jährige, dass „ich hier Leute kennenlerne, die ich im wahren Leben nie getroffen hätte.“ Die Vielfalt der Teilnehmer und ihre unterschiedlichen Perspektiven findet er „total spannend“.
Saina Ahmed hat die Ausbildung zur Konfliktmoderatorin 2015 abgeschlossen. Inzwischen arbeitet die Ägypterin als Beraterin in einem Jobcenter. Seit sie im Kurs gelernt hat, „erst mal zuzuhören“, kann sie „die Wut besser verstehen, die manche Klienten in ihr Büro mitbringen“. Sie sieht die Not der Menschen, die ihre Miete nicht bezahlen können, weil das Amt die Stütze zu spät auszahlt. Dann zeigt sie solch verärgerten Besuchern ihre Aktenberge und bittet- meist erfolgreich – um Verständnis.
Im Alltag helfen die Methoden der Konfliktmoderation, viele Situationen so zu entspannen, dass Enttäuschung und Wut nicht zu dramatischen Streits eskalieren.
Info Konfliktmoderation:
Mit Methoden der Deeskalation, des aktiven Zuhörens und der Gewaltfreien Kommunikation versuchen Konfliktmoderatoren, die Parteien eines Streits miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Konfliktmoderation durchläuft fünf Phasen:
Einleitung: Eine freundliche, aufmerksame Begrüßung schafft Vertrauen. Der/die Moderator/in ersetzt anfangs das Gespräch der Zerstrittenen, die nicht mehr miteinander reden (wollen). Er erarbeitet mit beiden Regeln für das weitere Vorgehen, garantiert Vertraulichkeit und gestaltet eine konstruktive, angenehme Arbeitsatmosphäre. Entscheidend: Beleidigungen sind verboten. Jeder lässt den anderen aussprechen. Äußerungen des „Gegners“ bleiben unkommentiert. „Ich-Botschaften“: Jeder spricht von sich und seinen Gefühlen ohne der Gegenseite etwas zu unterstellen oder sie mit Vorwürfen zu belasten.
Die Sichtweise der Parteien: Immer noch läuft die Kommunikation über den Moderator oder die Moderatorin. Beide Seiten stellen nacheinander ihre Sicht des Geschehens dar, das zu dem Streit geführt hat. Wichtige Stichpunkte schreibt der Moderator für alle sichtbar auf ein Flipchart oder eine Tafel. So entwirren sich allmählich die verschiedenen Erlebnisse und Gefühle, die dem Konflikt zugrunde liegen. Die Parteien erarbeiten so mit Hilfe des/der Moderator/in die Themen, die in weiteren Schritten abgearbeitet werden.
Konflikterhellung: Gemeinsam mit den Beteiligten arbeitet der/die Moderator/in die Bedürfnisse und Werte heraus, welche die Parteien beschäftigen.
Problemlösung: In einem Brainstorming und mit anderen kreativen Methoden suchen die Konfliktparteien mit Hilfe des/der Moderator/in Lösungswege. Sie machen sich gegenseitig Angebote für eine Vereinbarung zur Beilegung des Konflikts.
Vereinbarung: Beide Seiten vereinbaren (schriftlich) möglichst konkrete Schritte zur Lösung des Konflikts auf Grundlage der unter Punkt 4 gefunden Lösungswege.
Funktionieren kann eine Konfliktmoderation nur, wenn die Parteien freiwillig daran teilnehmen und sich darauf einlassen. Dann eignet sie sich vor allem für langfristige Beziehungen wie Nachbarschaften, Streits in Familien (zum Beispiel um das Sorgerecht für gemeinsame Kinder). Hier wie an vielen anderen Stellen gibt es rechtliche Grenzen. Niemand kann in einer Moderation wirksam auf unabdingbare Rechte wie den Anspruch auf Kindesunterhalt verzichten. Auch dürfen keine Vereinbarungen zu Lasten Dritter getroffen oder das staatliche Strafmonopol nach Straftaten unterlaufen werden.
Eine Antwort auf „Konfliktmoderation: Konflikten auf den Grund gehen“
sehr schönes Thema, das uns schon alle betrifft!
Deine Reportage im Deutschlandfunk gefällt mir sehr gut, kommt sehr ruhig und offen „rüber“!