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Pixel, Torten und ein Höhenrausch – Linz, Eur. Kulturhauptstadt 2009

Zuletzt aktualisiert am 5. August 2017 um 15:07

Das Ars Electronica Center AEC an der Donau in Linz, Foto: Robert B. Fishman

Pixel, Torten und ein Höhenrausch: Linz bekommt den Weltstadtschliff

Linz reimt sich auf Provinz, ein Haufen grauer Schlote im Donau-nebligen Smog, nur mit Mühe zu finden im traumatischen Nirgendwo zwischen dem alpenaristokratischen Festspiel-Salzburg und der balkanisch-selbstgefälligen Schmäh-Metropole Wien. Noch mehr Vorurteile? Haben wir: Kulturlose Industrie- und Arbeiterstadt, kleinbürgerlich, langweilig oder, wie Skandal-Rapper Bushido schlicht sagte: „Am A… der Welt“.

Der Stinkstiefel vom Dienst hatte sich in Linz mit einem Einheimischen angelegt. Anschließend ließ er Richter und Journalisten mit diesen Worten wissen, was er von der Europäischen Kulturhauptstadt 2009 hält. Viel gesehen hat er in Linz wohl nicht. Mit einem Etat von fast 70 Millionen Euro für rund 220 Projekte ist die oberösterreichische Landeshauptstadt ins Kulturhauptstadtjahr 2009 gestartet.

Linz-Altstadt, Foto: Robert B. Fishman

Ein sonniger Samstagvormittag auf der Linzer Haupteinkaufstraße, der Landstraße. Barocke Kirchtürme werfen ihre Schatten auf den breiten Boulevard. Leckereienläden und Filialen großer Handelsketten werben mit liebevoll dekorierten Auslagen um die Wette. Die Leute bummeln, genießen den ersten warmen Frühlingstag. Linz ist schön. Und Linz ist reich. Die Landstraße meldet nach Wiens Mariahilferstraße die höchste Publikumsfrequenz aller österreichischen Einkaufsmeilen. Oberösterreichs Landeshauptstadt hat mehr Arbeitsplätze als Einwohner und weniger Arbeitslose, als die anderen großen Städte des Landes. Täglich kommen rund 80.000 Pendler zum Arbeiten nach Linz.

In der vornehmen Herrenstraße entwirft der Linzer Modeschöpfer Gottfried Michael Birklbauer extravagante Kleider aus edlen Stoffen. Sein Atelier hat er sich in einem schick restaurierten Stadthaus aus der Gründerzeit eingerichtet. Er mag seine Landsleute, weil sie „einem direkt in die Augen schauen und es auch so meinen“. Außerdem sei Linz so schön überschaubar, noch nicht ganz so balkanlastig wie in Wien oder so alpenaristokratisch wie die Salzburger.

Seine Inspirationen holt sich Modekünstler Gottfried dennoch woanders: Auf seinen vielen Reisen in Paris, Bologna, Mailand, Monte Carlo oder Cannes – aber auch in seiner abgelegenen Heimat, dem Mühlviertel zwischen Linz und der tschechischen Grenze. Manchen seiner Kundinnen aus dem weltweiten Jet-Set gilt Linz sogar als exotisch, erzählt der jugendlich wirkende Modemacher lächelnd. Zu ihm kämen auch reiche Amerikanerinnen für eine Einkaufsspritztour während ihres Luxus-Schiurlaubs. Zuhause erzählen sie dann von dem tollen „Austrian fashion designer in the mountains“.

In Linz fühlt sich Modekünstler Gottfried wohl, obwohl ihm die Weltläufigkeit fehlt und vor allem „die kritisch denkende bürgerliche Schicht, die sich mit dem tieferen Sinn auseinandersetzt“.

Schwere Last: Kulturhauptstadt des Führers

 

Vor gut 70 Jahren bereiteten die meisten Linzer dem bis heute bekanntesten Oberösterreicher einen begeisterten Empfang. Tausende jubelten dem Führer auf dem Hauptplatz zu. Adolf bedankte sich auf seine Weise. Aus dem bis dato kleinen Landstädtchen sollte eine Führer- und Kulturhauptstadt werden. Hier, wo er einst die Realschule besuchte und mit schlechten Noten abbrach, wollte er sich seinen Alterssitz einrichten. In der Nähe ließ Hitler das Konzentrationslager Mauthausen bauen. Häftlinge und Zwangsarbeiter gruben in Linz ein Netz unterirdischer Stollen, das bis heute erhalten ist. Auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Gusen stehen heute Einfamilien- und Reihenhäuser. Am Stadtrand entstanden die Reichswerke Hermann Göring, damals eines der größten Stahl- und Rüstungswerke im Deutschen Reich. Damit war der Grundstein für den größten Industriestandort Österreichs gelegt. Linz wuchs rasant. Zahlreiche Nazi-Bauten erinnern an den Größenwahn des im oberösterreichischen Braunau aufgewachsenen „Führers“. Die Nibelungenbrücke entstand 1942, ebenso die beiden Brückenkopfgebäude, die inzwischen unter Denkmalschutz stehen. Aus den Hermann Göring Werken wurden nach dem Krieg die Vereinigten Österreichischen Stahlwerke VOEST Alpine, die der Stadt bis heute Arbeitsplätze und Wohlstand bescheren.

Ende der 70er Jahre begann der Wandel. An der zur Uni aufgewerteten Kunstschule studierten junge Leute, im Rathaus übernahmen die nach dem Krieg Geborenen das Ruder. Dreißig Jahre lang ist die einst als trist und grau verschriene Industriestadt über sich hinausgewachsen. Nun soll ihr das Kuturhauptstadtjahr den Weltstadtschliff geben.

Kaffeehaus Traxlmayr

Den alten und den neuen Linzer Flair atmen Einheimische und Touristen im Traditions-Kaffeehaus Traxlmayr. Frei von Musik- und sonstiger Schallberieselung genießen die Gäste Kaffee- und Kuchenkreationen im Art-Deco-Ambiente des 1847 gegründeten Kaffeehauses. Oberkellner Wolfgang Fischer hat 1964 als Lehrling im Traxlmayr angefangen. Wie seine Kollegen serviert er im schwarzen Livré mit leicht geneigtem Kopf würdevoll devot die Mélange, den Braunen oder den Einspänner auf einem Silbertablett mit einem Glas Wasser dazu. Die leckeren Kuchen und Torten suchen sich die Gäste an einem großen Büffet aus. Wer es wünscht, bekommt eine der 80 Zeitungen und Zeitschriften des Hauses gereicht – kostenlos natürlich. Nach dem großen Kaffehaussterben in den 70er Jahren ging es mit dem Traxlmayr wieder stetig bergauf. Hier treffen sich Leute aus allen Gesellschaftsschichten, auch viele junge Leute, die um gediegene Kaffeehäuser früher einen großen Bogen gemacht hätten.

Fischer freut sich, dass „sich der Linzer in den letzten 25 Jahren, 30 Jahren sich im positiven Sinne sehr weltoffener entwickelt hat“.

Überraschende Begegnungen: Pixel und Torten

An einem der Tische im Traxlmayr sitzt Stefan Zowislo, der in der Kulturhauptstadt 2010 Mülheim an der Ruhr für die CDU Bürgermeister werden möchte. In Linz hat er sich Ideen für die Kulturhauptstadt an der Ruhr geholt, zum Beispiel die Pixelhotels. Zwei junge Architekten haben einen alten Donaulastkahn und eine ehemalige Werkstatt zur Übernachtungsstätte umgebaut. Die Gäste schlafen im Bug des alten Schiffes oder in einer ehemaligen Industriehalle. Neben dem Bett steht dort ein Wohnwagen aus den 60er Jahren. So lernen Besucher die Stadt aus ganz ungewöhnlichen Blickwinkeln kennen. Zum Frühstücken geht man in eines der vielen Linzer Kaffeehäuser, zum Beispiel ins Traxlmayr oder zu Fritz Rath in der Pfarrgasse, gleich hinter dem Hauptplatz. An den Wänden hängen Bilder, Landkarten und Zeitungen aus Kaiser Franz-Josefs Zeiten. Die Rückwand des Ladens ist mit dunklem Holz vertäfelt und die Linzer Schnitte schmeckt hervorragend. „Fett, Butter,  Zucker, natürlich die Haselnüsse nicht vergessen, geröstete Haselnüsse, Mehl, etwas Milch, Eier und natürlich die Gewürze und da hat jeder sein Geheimrezept“, erzählt der Konditor.  „Und natürlich was beim machen hinein gehört ist die viele Liebe, die man in einlegt um eine gute Linzer Torte machen zu können und natürlich die Ribiesln, also die Johannisbeermarmelade.“

Statt Linzer Torte gibt es bei Dominika Meindl online unter  Linzer Worte: „Nach einer gescheit gescheiterten Karriere als Philosophie-Rakete und Kabarett-Zirkuspferdchen in der Bundeshauptstadt bin ich in den identitätsschwachen Zentralraum von Oberösterreich heimgekehrt und vertreibe mir die Zeit bis zur Einführung der Grundsicherung als Schmierfink für Texte aller Art“, lästert sie online über sich selbst und empfiehlt sich als beste Kennerin ihrer Heimatstadt.

an der Donau mit Blick auf den Stadtteil Urfahr

Ihre Ideen findet Dominika auf der Straße oder in der Trambahn, wo sie die Menschen   beobachtet. Alle drei Linien durchqueren die schmale, lang gezogene Stadt von Nord nach Süd.  „Da hat man sich schnell einen Überblick verschafft, weiß die Bloggerin mit dem trockenen, sarkastischen Humor. Das Kabarett schreibt das Leben, zum Beispiel die beiden Pensionistinnen (Rentnerinnen), die sich ausgiebig darüber unterhalten, mit welchem Hobby sich die Zeit wohl am effektivsten totschlagen lasse.

Im Kulturhauptstadtjahr will die Bloggerin „endlich mal kulturell überfordert sein“. Das könnte klappen.

Hinweis: Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt von Linz 09. vielen Dank!

Linz Info

Das Kulturhauptstadtjahr lässt sich Oberösterreichs Metropole (knapp 200.000 Einwohner) etwas kosten: Aus mehr als 2000 Projektvorschlägen hat die Kulturhauptstadt-GmbH unter Leitung des umstrittenen Schweizer Intendanten Martin Heller rund 220 auswählt. Einige Highlights:

 

kleinkariert? eine Stadt in rosa-rot-weißen Karos

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Turmeremit:

Kein Internet, kein Telefon, kein Computer, kein Fernseher und kein Handy. Stille. Für jeweils eine Woche lädt die katholische Diözese Linz zu Stille und Einkehr in die Kammer unter dem Kirchturmdach des Linzer Mariendoms, 68 Meter über der Stadt. Das Projekt der Kulturhauptstadt-Gesellschaft Linz 09 ist gefragt. Mehr als 200 Frauen und Männer, alte und Junge, haben sich als Turmeremiten beworben. 58 sind für 2009 eingeteilt. Wegen der großen Nachfrage will die Diözese das Projekt 2010 fortsetzen.

Hörstadt: Lärm ist überall. In fast jedem Kaufhaus und fast jedem Supermarkt werden wir von akustischem Müll berieselt. Als weltweit erste Stadt hat sich Linz sich jetzt zur Hörstadt erklärt. Im Januar hat das Stadtparlament einstimmig die Linzer Charta beschlossen. Diese erklärt die Gestaltung des akustischen Raums zum Recht aller Menschen. Bei Stadt- und Bauplanung müssen nun die akustischen Auswirkungen nun mitgedacht und mitgeplant werden. In der Stadt bieten Ruhepole Stille pur und ein Netz von Hörenswürdigkeiten überspannt die Europäische Kulturhauptstadt.

Höhenrausch: Künstlerische Höhepunkte über den Dächern von Linz: Nach Schaufenstern und Stollen werden die Dächer im Zentrum von Linz bespielt und begangen. Über eine Himmelsstiege steigen die BesucherInnen bis über die Dächer der Innenstadt. Vom Freideck des Kulturzentrums OK starten die Höhenrausch-Grußbotschaften der Besucher/innen per Raketenpost. In einem Laboratorium untersuchen Künstler, Lehrer und Schüler gemeinsam das „Phänomen Höhenrausch“. Das Projekt gibt es auch 2018 wieder.

Kulturhauptstadtteil des Monats:

Jeden Monat beteiligt sich ein anderer Vorort am Kulturhauptstadtjahr. Im März bieten Familien, Pfarrer und Wirt in der Arbeitervorstadt Auwiesen Quartiere in ihren Wohnungen unter dem Motto „1 day and 1 night in a suburb“ an. Der Pfarrer wohnt im Loft über der in eine ehemalige Tuchfabrik gebauten Kirche.

Ars Electronica Center: Das neue 30-Millionen-Euro-Ufo am Donauufer, das nachts in rosa, blau, grün, rot und einigen anderen Farben leuchtet. Drinnen gibt’s elektronische Kunst zum sehen, fühlen, hören, anfassen und spielen in allen Variationen. Weltweit einmalig und sehenswert.

Lentos: Fast genau so bunt beleuchtetes ultramodernes Kunstmuseum auf der Linzer Donauseite gegenüber dem AEC mit wechselnden Kunstausstellungen wie LINZ BLICK. Stadtbilder in der Kunst 1909-2009 (bis 19.4.09) oder Best of Austria (bis 10.5.09)

Aussitzer: Kein Kulturhauptstadt-Projekt sondern der Protest derer, die mit ihren Projektvorschlägen abgelehnt wurden und die gegen die Kommerzialisierung und Festivalisierung der Stadtpolitik protestieren. Sie sitzen im Schaufenster eines ehemaligen Plattenladens und warten auf bessere Zeiten.

 

Linz09: offizielle Webseiten des Kulturhauptstadtjahrs

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Von Robert B Fishman

freier Journalist, Autor (Hörfunk und Print), Fotograf, Moderator, Reiseleiter und mehr

2 Antworten auf „Pixel, Torten und ein Höhenrausch – Linz, Eur. Kulturhauptstadt 2009“

Wow – sehr umfassendes „Portrait“ der Kulturhauptstadt Linz. Da musste ich hier her gleich aus meinem Blog verlinken. Trackback funktioniert bei mir leider nicht, darum gibt’s einen Kommentar 🙂

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