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Pecs, Ungarn: Eindrücke aus Europas Kulturhauptstadt 2010

Zuletzt aktualisiert am 5. August 2017 um 13:23

Pecs, Ungarn, im Juni 2009

Das Museum fŸür die KŸnstlerin ErzsŽbet Scha‡r prŠsentiert ihre letzten Skulpturenkompositionen unter dem Titel „Strasse“ (utca), 1970er Jahre, Foto: Robert B. Fishman
Promenadenfestival vor dem Dom mit Wein- und EssstŠaenden in Pecs, Foto: Robert B. Fishman
Abendstimmung auf dem Hauptplatz
Die Gasi Kasim Moschee (SzŽchenyi tŽr) dient heute als katholische Kirche. Nach der Verteibung der TüŸrken, die rund 150 Jahre Ÿber Pecs geherrscht hatten, setzten die Katholiken als Symbol des Sieges ein Kreuz in den islamischen Halbmond.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick von der Dachterrasse des Hotels Palatinus mit roter Liege auf das Rathaus mit Kirchturm
Souvenirstand am Strassenrand: beliebt sind Karten, Magneten und weitere Objekte, auf denen Ungarn in den Grenzen von 1919 aufegdruckt ist. Nach dem 1. Weltkrieg musste Ungarn dem Vertrag von Trianon folgend einen Grossteil des Staatsgebiets an die NachbarlŠnder abtreten. Noch immer leben daher mehr Ungarn ausserhalb der Landesgrenzen als innerhalb.
Theater

Nach 4 Tagen in der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 schwirren mir Fragmente und Gefühle durch den Kopf, Gespräche mit jungen “Zigeunern” am einzigen Roma Gymnasium Ungarns, der eine aus einer gebildeten Familie in Budapest, die andere aus einer kaputten Familie in einem kleinen Dorf, die alle Klischees über “die Zigeuner” bedient, 10 Geschwister, von denen nicht alle die gleiche Mutter haben, Vater Alkoholiker, “meine Eltern lernen nicht aus ihren Fehlern, sagt die heute 17jährige, ich will nicht mehr zurück nach Hause, sie streiten nur und machen nichts aus sich. Die ganze Familie lebt in einem Zimmer. Sie wollte an eine gute Schule, etwas lernen und hat sich gegen ihre Eltern durchgesetzt. In der Grundschule mussten “wir Zigeunerkinder in der letzten Reihe sitzen, damit die Lehrerin unseren Anblick nicht aus der Nähe ertragen musste”.  In einer Umfrage haben angeblich 60% der Ungarn angegeben, dass sie “die Zigeuner” nicht mögen. Die rechtslastige Jobbik-Partei hat (damit nachher niemand sagen kann „Wenn wir gewusst hätten, was das für Leute sind…“. Sie zeigen ihren Rassismus und ihren Antisemitismus ganz offen sogar auf Deutsch)  bei der Europawahl 2009  14% der Stimmen geholt . Ihre Ungarische Garde marschiert in schwarzen Uniformen durch Dörfer, um “Zigeuner” zu schlagen und zu beschimpfen. “Natürlich haben wir Angst”, sagt die Schülerin am Roma-Gymnasium. Nur hier kann sie sich aufs Lernen konzentrieren, ohne Angst vor Lehrern und Mitschülern zu haben. Ihr Klassenkamerad aus der Hauptstadt stimmt zu. Auch das ist Europa im 21. Jahrhundert. “Diese Gesellschaft spricht nicht über Traumata”, sagte mir ein ungarnstämmiger Deutscher

Württemberg, der für eine deutsche Stiftung hier arbeitet. Um die ungarische Demokratie müsse man keine Sorge haben. Sie funktioniere. Man müsse die Herrschaften von der Garde aber im Auge behalten.

Wenn die Regierung das Land ausverkaufe, müsse man sich über die Wahlerfolge der Rechten nicht wundern. Im Nordwesten habe die Regierung die Wasserrechte an Nestlé verkauft. Während der Konzern fleißig Grundwasser abpumpe, sinke der Wasserspiegel des Plattensees immer weiter.

 

 

Synagoge in Pecs, Foto: Robert B. Fishman

 

Angst haben auch viele Juden. Unlängst haben Antisemiten die Scheiben der Synagoge eingeworfen. “Sie wissen doch gar nicht, ob das Antisemiten waren”, hätten zwei Polizisten dem Rabbi gesagt, als er den Vorfall meldete. “Wir müssen uns zeigen”, sagte mir ein junger Jude. Seine 88jährige Oma hat das KZ Dachau überlebt. Sie spricht nie darüber. “Wenn ich sie danach fragen würde, wäre mein Vater sehr, sehr wütend”, sagt er. Deshalb fragt er lieber nicht. Die Älteren haben Angst, weiss der 25jährige. Deshalb verstecken sie sich.

Derweil stockt das Kulturhauptstadtprogramm, weil die Verantwortlichen in kurzen Abständen immer wieder ausgetauscht wurden und am Ghandi-Gymnasium, der einzigen Oberschule für Roma-Kinder, muss das seit Jahren erfolgreiche Direktorium gehen, weil sich andere (die haben keine Ahnung und sind unfähig”, sagt eine Deutsche, die dort seit langem arbeitet) mit den Erfolgen schmücken wollen.

“Hier in Osteuropa gibt es keine entwickelte Zivilgesellschaft”, analysiert der deutsche Kulturmanager im Haus der Ungarndeutschen. Deshalb ist schon die öffentliche Debatte über Inhalte des Kulturhauptstadtjahrs mit Vertreter/innen von Vereinen und engagierten Bürger/innen ein Erfolg, für den sich der Aufwand der Kulturhauptstadt-Vorbereitung lohnt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Von Robert B Fishman

freier Journalist, Autor (Hörfunk und Print), Fotograf, Moderator, Reiseleiter und mehr

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