Von Robert B. Fishman
Mein Beitrag in der Sendung aus Kultur- und Sozialwissenschaften im Deutschlandfunk:
Hass und Verschwörungsmärchen verbreiten sich nicht nur im Netz. Corona-Mahner wie Christian Drosten oder Karl Lauterbach erhalten Morddrohungen. Nutzer einschlägiger Telegram-Kanäle wollen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer „aufhängen“, nachdem er strengere Corona-Maßnahmen angekündigt hat. Der zunehmende Hass richtet sich auch gegen Jüdinnen und Juden, Medienschaffende und Geflüchtete. Noch-Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht inzwischen im Rechtsextremismus das größte Sicherheitsrisiko für unsere Gesellschaft. Ein Institut erforscht die Gründe und sucht nach Auswegen.
Seit 25 Jahren beobachtet das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung IKG an der Universität Bielefeld nicht nur die zunehmenden Spannungen. Es sucht Lösungen. Überregional bekannt wurde es mit seiner Langzeitstudie zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, die als „Mitte-Studie“ alle zwei Jahre aktualisiert wird. Inzwischen ist das IKG auch Mitglied im deutschlandweiten „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ FGZ.
Anschluss an die Gesellschaft
1996 gründen Wilhelm Heitmeyer und andere Forschende an der Universität Bielefeld das IKG. Sie wollen herausfinden, woher der Hass kommt und wie man ihm entgegenwirken kann. Einen Anstoß gibt die damals zunehmende Gewalt in Fußballstadien und gegen Zuwanderer*innen. Heitmeyer begleitet eines der ersten Fanprojekte Deutschlands, das den Hass eindämmen will. Neu sind szenekundige Polizeibeamte und Sozialarbeiter, die sich in der Fankultur auskennen und so auch mit Gewaltbereiten ins Gespräch kommen.
„Wenn sie in prekären, ärmeren Milieus leben, finden sie wenig Anschluss“, sagt der heutige Leiter des IKG Andreas Zick. Viele dieser Menschen seien „von radikalen Kräften abholbar“. Um sie anzusprechen, schenkt das Institut mit Unterstützung der Stadt Bielefeld Kindern in sogenannten benachteiligten Stadtteilen Mitgliedschaften in Sport- und anderen Vereinen. So kämen auch die Familien wieder in Kontakt mit gesellschaftlichen Institutionen: „Es geht um eine Bindung an die Gesellschaft.“
Bindung an die Gesellschaft schaffen
Mit seiner Arbeit in den Stadtteilen, in denen die Gewalt entsteht, hat das IKG ein Alleinstellungsmerkmal – ebenso mit seinem interdisziplinären Ansatz.
Andreas Pott forscht am „Institute for Migration Research and Intercultural Studies“ an der Uni Osnabrück zur Migration. Er sieht „ganz wichtige Impulse, die von Bielefeld ausgehen“. Das IKG verknüpfe sozialpsychologische und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen. Die Bielefelder Forscher hätten einen ganzheitlichen Blick auf die Entstehung und Entwicklung von Konflikten und Gewalt. „Sie verorten die Probleme im jeweiligen Stadtteil und suchen dort nach Lösungen.“
Friedliche Silvesternächte am Kölner Dom
Als Beispiel für erfolgreiche Gewaltprävention nennt IKG – Leiter Andreas Zick die Zusammenarbeit mit der Kölner Polizei nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht 2015/16. Damals hatten vor allem aus Nordafrika stammende junge Männer auf der Domplatte zahlreiche Frauen angegriffen und sexuell belästigt. Die bis dahin positive Stimmung gegenüber Geflüchteten aus dem Nahen Osten begann nach zahlreichen Medienberichten zu kippen. Zick und seine Kolleg*inn*en fragten nach: „Eskalieren konnte die Lage, weil sich im Gedränge eine Arena gebildet hat“, analysiert der Wissenschaftler. In den Folgejahren ließ die Polizei auf Empfehlung des IKG die Menschen zu Silvester nur in Schlangenlinien auf die Domplatte. Männer wurden kontrolliert, und zwar unabhängig von Herkunft und Aussehen. In der Folge blieb es friedlich.
Der Hass sickert in die gesellschaftliche Mitte
In seinen Studien dokumentiert das IKG die Spaltung der Gesellschaft. Rechte und rassistische Einstellungen machen sich in der Mitte breit. Auch wenn die Gewaltkriminalität der offiziellen Statistik zufolge abnimmt, mahnt Leiter Andreas Zick zur Vorsicht: Allein zwischen 2015 und 2020 hätten die deutschen Behörden eine viertel Million rechtsextremistisch motivierte Straftaten gezählt. Der Erziehungswissenschaftler und Sozialpsychologe rät, die vorhandenen Programme gegen rechte Gewalt besser zu vernetzen. Diese sollten zusammenarbeiten und wie aktuell in der Epidemiologie voneinander lernen.
„Wir sind eine schlecht vernetzte Gesellschaft.“
Wie dringend seine Anliegen sind, hat Andreas Zick selbst erlebt. Er holt den Ausdruck einer E-Mail, die er kürzlich erhalten hat. Übelste Beschimpfungen. Immer wieder bekommt er auch konkrete Drohungen, die er an den Staatsschutz weiterleitet. In Dresden hätten ihn Unbekannte mit Silvesterraketen beschossen, in Bielefeld geschlagen. Rechtsextremisten sind ins Institut gekommen und haben den Flur mit Hakenkreuzen beschmiert.
Politik reagiert nur auf aktuelle Krisen
Trotz seiner Erfolge muss das IKG immer wieder um Forschungsgelder kämpfen. Projekte werden eine Zeit lang finanziert und dann wieder eingestellt. Diese „Projektitis“ verschwendet wertvolle Ressourcen. In der Konflikt- und Gewaltforschung fehle, so Zick, dauerhafte Grundlagenforschung. Wenn Konflikte wie in der aktuellen Corona-Krise eskalieren, reagiert die Politik. Dann aber wendet sich die öffentliche Aufmerksamkeit wieder anderen Themen zu.
Wunschzettel an die neue Regierung
Der Vorstand des Interdisziplinären Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung hat der neuen Bundesregierung deshalb Vorschläge unterbreitet, „wie wir zukunftsfähiger werden in einer Gesellschaft, in der zunehmend Konflikte in Gewalt münden.“ Ein Schritt: „eine längerfristige Förderung von Forschung zu Frieden, Konflikt und Gewalt“. Andreas Zick wünscht sich eine „Nationale Akademie für Gewaltprävention und Analyse“ nach dem Vorbild der Leopoldina in den Naturwissenschaften.