Meine Reportage im Deutschlandfunk Kultur hier zum Nachhören
von Robert B. Fishman
Bielefeld. Klimafreundlicher leben? Klingt gut, erscheint aber vielen zu aufwändig und kompliziert. Dass Klimaschutz das Leben auch erleichtern kann, zeigen die Klimacoaches. Sie besuchen die Teilnehmer des Projekts „Klimaschutz – Einfach machen“ zuhause, geben Tipps und helfen kostenlos, den Alltag Schritt für Schritt klimafreundlicher zu gestalten.
An einem Tisch in einem Nebenraum der Bielefelder Stadtbibliothek wartet die Neumanns auf ihre Klimabilanz. Wiebke Neumann, Ende 30, ist „ein bisschen aufgeregt.“ Es fühlt sich ein bisschen an wie die Zeugnisvergabe in der Schule.
Zwölf Bielefelder Familien, Paare und Einzelpersonen haben sich zum Workshop des Projekts „Klimaschutz- einfach machen“ versammelt. Gemeinsam wollen sie ihre CO₂-Bilanzen auswerten und sich Schritte überlegen, wie sie ihren Alltag umweltfreundlicher gestalten können.
Klimacoaches: Ermutigung durch Selbstwirksamkeit
Birgit Reher begleitet für das städtische Umweltamt den Prozess, der im September mit einem ersten Treffen begonnen hat und im Februar 2024 mit einer gemeinsamen Auswertung endet. Reher freut sich über die „ganz, ganz hohe Motivation“ der Teilnehmenden. Sie möchte den ihnen „Wertschätzung auch für kleine Schritte“ hin zu einem klimafreundlicheren Leben vermitteln. So will sie das Gefühl geben, dass jeder und jede selbst etwas gegen die Klimakrise tun kann: Ermutigung durch Selbstwirksamkeit. Ein einfacher Schritt wäre zum Beispiel getan, wenn nach einer Umstellungszeit der Gelbe Sack nur noch halb so voll ist wie zuvor.
Zwei Wochen vor dem Workshop in der Stadtbibliothek haben Klimacoaches die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts besucht.
Klimacoach Christian Kleinschmidt war bei den Neumanns. Im ersten Schritt erfasst die Familie ihre Alltagsgewohnheiten in einem Fragebogen. Aus diesen Daten errechnet Kleinschmidt die Klimabilanz von Wiebke, Carsten, Lotte und Paula Neumann. Der Maschinenbau-Ingenieur sieht sich dabei vor allem als Moderator, der Denkanstöße gibt. Die Fragen und Ideen für einen klimafreundlicheren Lebenswandel sollen von den Teilnehmenden selbst kommen. Das Ziel: Die Familien erhalten Gelegenheit, sich ihren Beitrag zur Klimakrise bewusst zu machen und Ideen für eine Verbesserung entwickeln.
Zurückhaltende Coaches
„Ein bisschen schade“ findet es Wiebke Neumann, dass die Coaches so zurückhaltend auftreten und wenig Empfehlungen geben.
Familie Neumann wohnt in einer sanierten Altbau-Wohnung in der Bielefelder Innenstadt. Die Töchter Lotte, acht Jahre alt, und die sechsjährige Paula, gehen zu Fuß zur Schule ganz in der Nähe. Mutter Wiebke arbeitet überwiegend von zu Hause aus. Ein- bis zweimal die Woche fährt sie mit der Bahn zu ihrem Arbeitgeber ins Ruhrgebiet. Vater Carsten ist noch in Elternzeit.
Mobilität, Einkaufen, Strom und Heizung prüfen
Im anderthalbstündigen Coaching-Gespräch haben sie sich ihre Einkaufs- und Essgewohnheiten, ihren Energieverbrauch und ihr Mobilitätsverhalten angesehen.
Geflogen sind sie als Familie noch nie. Wiebke und Carsten Neumanns letzter Flug war 2014: ihre Hochzeitsreise.
Nach dem Gespräch mit Klimacoach Christian Kleinschmidt planen die Neumanns ihre nächsten Schritte. Vater Carsten überlegt, ob man das Auto, einen alten Diesel, abschaffen könne. Noch zögert er, hat sich aber schon verschiedene Carsharing-Angebote angesehen. Für längere Reisen sind diese teuer. „In den Urlaub könnten wir auch mit einem Mietwagen fahren“, überlegt er und Wiebke nickt.
Lastenrad statt Auto
Als erstes wollen die beiden ein Longtail-Lastenrad anschaffen, auf dem sie die beiden Kinder mitnehmen können. Tochter Lotte ist begeistert. Die 8-Jährige freut sich auf das neue Rad. „Dann können Mama und Papa uns auch ohne das Auto überall hinbringen.“ Ihre Schwester Paula ergänzt, dass sie schon „lange nicht mehr mit dem Auto gefahren und noch nie geflogen“ sei.
Auch zum Thema Energie machen sich die Neumanns Gedanken. Wiebke will sich nach echten Ökostrom-Tarifen erkundigen. Als Mieter können sie sich keine Solaranlage aufs Dach bauen, aber Platz für ein Balkon-Solarkraftwerk hätten sie. Sie wollen Angebote einholen.
5 Monate für ein neues Leben
Fünf Monate haben die Teilnehmenden des Projekts „Klimaschutz- einfach machen“ Zeit, ihre Ideen zu entwickeln und mit der Umsetzung zu beginnen. Wiebke Neumann fühlt sich dabei von den Klimacoaches gut unterstützt: „Wenn wir Fragen haben, können wir jederzeit anrufen.“
Coach Christian Kleinschmidt nennt die entscheidenden Punkte, an denen die Menschen mit wenig Aufwand viel für den Klimaschutz tun können: Heizung, Strom und – was die meisten übersehen – den Konsum: Vielen sei der gravierende Beitrag ihrer Kaufentscheidungen zur Erderwärmung nicht bewusst. Dinge müssten aus zahlreichen Rohstoffen hergestellt, verpackt und transportiert werden. All dies verursache jede Menge Treibhausgase, die die Klimakrise verschärfen.
Klimafreundlicher einkaufen
Bei der Ernährung verhagelt nicht nur Rindfleisch die Klimabilanz: Viele wunderten sich über die Menge an Treibhausgasen, die von Milchprodukten ausgehen: Käse und Butter schneiden da kaum besser ab als Fleisch.
Familie Neumann will deshalb nun auch klimafreundlicher einkaufen: weniger Verpackung, mehr regionale, pflanzliche Produkte. Natürlich bedeutet das zunächst „mehr Aufwand“, wie Wiebke Neumann feststellt: Statt alles in einem Supermarkt zu kaufen, müsse sie nun mehrere Läden ansteuern, zusätzlich zu den Preisen die Ökobilanzen der Produkte vergleichen.
Widersprüche beim Klimaschutz
Widersprüche lassen sich dabei nicht immer vermeiden. In guter Absicht hatten die Neumanns bei einem lokalen Lebensmittelretter eine Obst- und Gemüsekiste bestellt: Bekommen haben sie einen Überraschungskarton mit exotischen Früchte von weit her, die, so die Werbung, vor der Vernichtung gerettet würden. „Ananas, Khaki oder eine Melone hätten wir normalerweise jetzt im Herbst nicht gekauft.“ Irritiert fragte Wiebke beim Umweltamt, ob sie mit der Bestellung etwas Gutes fürs Klima getan hätten. Es kommt darauf an, ob die exotischen Lebensmittel tatsächlich vor der Vernichtung gerettet wurden.
Überrascht hat Wiebke Neumann die große Auswahl an Anbietern, die beim Projekt mitmachen. Damit meint sie Unternehmen und Organisationen, die Beratung und Dienstleistungen für ein klimafreundlicheres Leben anbieten – darunter ein Carsharing-Unternehmen, ein Bio-Bauernhof, eine lokale Manufaktur von Jeans aus Bio-Baumwolle, die örtliche Transitions-Town-Initiative, das Nahverkehrs-Unternehmen der Stadtwerke, die Verbraucherzentrale oder die Stadtbibliothek. Dort kann man in der „Bibliothek der Dinge“ auch Gebrauchsgegenstände wie Bohrmaschinen und anderes Werkzeug ausleihen.
Gemeinsame Erlebnisse stärken den Zusammenhalt
Ihre erste Klimabilanz motiviert die Neumanns dranzubleiben. Mit den Kindern schließen sie sich einem „Zero Waste“-Spaziergang an. Auf der Tour zeigt eine Mitarbeiterin des städtischen Umweltamtes, wo man unverpackte Waren einkaufen kann und Mode aus nachhaltiger Produktion bekommt. Dazu gibt es mehrere Vorträge mit vielen praktischen Tipps, wie man weniger Müll produziert.
Carsten Neumann hat sich außerdem für einen Nachhaltigkeits-Kurs angemeldet: Vier Wochen lang bekommt er dort Tipps zum Energie- und Stromsparen. Eine Folge erklärt, wie man ein Balkon-Solarkraftwerk am günstigsten kauft und installiert. „Genau unser Thema“, freut sich Neumann.
Die vielen Veranstaltungen und Termine sehen die Neumanns auch als gemeinsame Erlebnisse, die sie als Familie miteinander verbinden.
Schade nur, dass das Projekt nach zweieinhalb Jahren enden wird. Doch die Familien, die in der ersten Runde dabei waren, sollen die Idee weitertragen. Sie bekommen eine Schulung als Multiplikatoren, die dann andere auf dem Weg in ein klimafreundlicheres Leben begleiten werden.
Info:
Das Projekt „Klimaschutz – einfach machen“ läuft mit öffentlicher Förderung in neun Städten in Nordrhein-Westfalen: