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Wirtschaft: Nachwuchsmangel selbst gemacht

Zuletzt aktualisiert am 8. Mai 2018 um 11:25

Auf meinen Recherchen zu ganz anderen Themen begegnen mir immer wieder Geschichten, die ich aufschreiben möchte. Meist fehlt mir dafür die Zeit. Oft sind sie spannender als das, was ich eigentlich erfragen sollte und wollte.

Im Berchtesgadener Land berichte ich über ein Schülerforschungszentrum, das junge Leute für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer begeistert. Dort begegnet mir ein junger Mann, 17 Jahre, Realschulabschluss mit 1,9, Einser in Mathe und anderen Fächern. Trotzdem hat er mehr als 50 vergebliche Bewerbungen um eine Lehrstelle geschrieben: „Nur Absagen“, erzählt er mir und wirkt so gar nicht entmutigt. Beworben hat er sich um einen Ausbildungsplatz als Mediengestalter. Auch als IT-Kaufmann habe er es vergeblich versucht. Jetzt macht er statt dessen einen Bundesfreiwillgendienst in besagtem Forschungszentrum und versucht es weiter. Gerade in Südbayern jammern Unternehmen und Verbände, dass sie keine Azubis finden. Was stimmt da nicht?

Wir suchen Leute- aber nur rund um die Uhr

Zurück in NRW eine ähnliche Geschichte: Ein junger Flüchtling (20) will unbedingt arbeiten. Er spricht gut Deutsch. Weil er seinen Schulabschluss nachholen möchte, geht er Mo. – Do. 16h30 bis 21 Uhr zur Abendrealschule. Ich helfe ihm bei den Hausaufgaben und Bewerbungen. An die zehn Absagen haben wir schon, weil die Unternehmen zwar „händeringend Aushilfskräfte suchen“ (O-Ton einer Personalvermittlerin), aber darauf bestehen, dass die Bewerber zu jeder Tags- und Nachtzeit (Früh-, Mittags- und Spätschicht) zur Verfügung stehen. Wer Einschränkungen macht (z.B. wegen Schulzeiten), wird aussortiert.

Es geht noch abstruser:

Der junge Mann möchte unbedingt Krankenpfleger werden. Für sein Praktikum in einem hiesigen Krankenhaus hat er großes schriftliches Lob erhalten. Für die Krankenpflegeausbildung braucht er die mittlerer Reife. Für eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer (oder -assistenten) reicht der Hauptschulabschluss. Den bekommt er zum Ende dieses Schuljahres im Juli. Dann ist allerdings die Bewerbungsfrist der meisten Schulen für das kommende Ausbildungsjahr abgelaufen. Eine Schule hat sich geweigert, seine Bewerbung ohne Zeugnis anzunehmen. Der Hinweis, dass er das Abschluss-Zeugnis im Juli nachreichen werde, hat nicht interessiert. Er könne sich gerne wieder mit dem Zeugnis bewerben. 

Bewerber um einen Ausbildungsplatz brauchen Führerschein und Auto

Eine andere Schule verlangt von den Bewerbern einen Führerschein. Die Azubis müssten in mehreren Krankenhäusern arbeiten und dazu bräuchten sie einen Führerschein – und ein eigenes Auto. Niemand kann ihm erklären, wovon ein Azubi im ersten Lehrjahr das bezahlen soll.

Eine weitere Krankenpflegeschule schickte ebenfalls eine Absage – ohne Begründung. Auf Nachfrage erfahre ich dort, dass die Schule auf 25 Ausbildungsplätze rund 100 Bewerbungen erhalte. Die staatlichen Zuschüsse reichten nicht aus, um mehr Plätze zu schaffen. So viel zum Thema Pflegekräftemangel.

Geht man hier mit offenen Augen durch die Stadt, sieht man an fast jedem Auto der zahlreichen Pflegedienste Zettel mit Sätzen wie „Wir suchen dringend Pflegekräfte“. Der Stellenteil der Lokalzeitung ist voll mit Jobangeboten in der Kranken- und Altenpflege.

Der Ärztemangel ist hier wie überall das große Thema. Reihenweise gehen selbst in den Städten niedergelassene Ärzte in den Ruhestand und finden keine Nachfolger. Gleichzeitig haben wir auf dem Medizinstudium einen Numerus Clausus von 1,0. Noch Fragen?

Von Robert B Fishman

freier Journalist, Autor (Hörfunk und Print), Fotograf, Moderator, Reiseleiter und mehr

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