Zuletzt aktualisiert am 4. August 2017 um 18:42
Edinburgh, Okt. 2012. Immer wieder höre ich es in Schottland, vor allem natürlich von den Streitern für die Unabhängigkeit: „We have a rubbish government down there in London“. In Schottland finden sich nicht viele Anhänger der konservativen britischen Regierung (angeblich holten die „Tories“ hier nur 8%), die, so die häufigste Kritik, den Wohlfahrtsstaat zerstöre und die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter vertiefe. Die mit Abstand meisten Wahlkreise gehen hier an die sozialdemokratische SNP (Schottische Nationalpartei) oder an Labour.
„Wir wollen Europa, kostenlose Bildung, eine soziale Gesellschaft und nicht diese Regierung in London“, schimpfte mir gestern Abend auf der Haloween-Feier auf Edinburghs Royal Mile ein 50jähriger wütend ins Mikrofon, während auf der Bühne vor Saint Giles Cathedral nach vorchristlichen keltischem Brauch Sommer und Winter in einem farbenfrohen, mystischen Spektakel gegeneinander um die Gunst von Königin Natur kämpften.
Charmant, weltoffen und Europa zugewandt präsentiert sich Schottlands Unabhängigkeitsbewegung zum Beispiel hier. „I detest the brand of nationalism that is anti-English/British. I’d like a friendly respectful relationship with our neighbours, I just don’t want them coming round, emptying the fridge, trashing the place, dumping their dangerous junk and spending our money. That’s not unreasonable, is it? That’s just self-respect.“ schreibt Laura aus Glasgow.
Anders als die meisten Konservativen in England will die Mehrheit der Schotten ein starkes, sozial und solidarisch ausgerichtetes Europa. Schottischer Nationalstolz richtet sich selten gegen andere (höchstens mal gegen die Engländer ;-))
Die Folgen von Camerons Zickenkrieg gegen die EU hat ein ganzer Flieger voll genervter Passagiere heute wieder am Frankfurter Flughafen erlebt. Weil sich die britische Regierung den Schengen-Verträgen verweigert konnten wir nicht einfach über die normale Passagierbrücke ins Terminal gehen. Wir mussten auf einen Bus warten, der uns zum Terminal für Nicht-Schengen-Ankünfte bringt: Langwieriges Gekurve übers Vorfeld und Schlangen an der Passkontrolle. Thanks to the UK goverment.
.. eine Reportage aus Einburgh und über die Yes Scotland Bewegung habe ich in Arbeit….
2 Antworten auf „Schottland: Europa oder UK?“
Das Wiederaufkeimen des Nationalismus kann sehr bald zum Sprengsatz der Europäischen Union werden. Siehe Schottland, Wales, Baskenland, Katalonien, Flamen, Wallonen etc. sorgen für Unruhe in Brüssel. Dazu kommen rechtsextreme Kräfte – wie etwa in Ungarn – und islamistische Fundamentalisten, die den chauvinistischen Bestrebungen Auftrieb geben. Wenn wir nur etwas mehr als zwanzig Jahre zurückblicken, dann begann diese Bewegung mit dem Zerfall von Jugoslawien: Es waren nationalistische und chauvinistische Bewegungen, die das Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates mit Unterstützung konservativer Politiker in Europa unterstützt und herbeigeführt haben. Und ein noch längerer Blick zurück in die Geschichte zeigt: Auch das k.u.k. Reich ist am Egoismus einzelner Nationalstaaten zerbrochen. Also, warten wir ab, wie’s in der EU sein wird.
Das sehe ich sehr viel differenzierter. Es gibt (leider) den egoistischen, andere abwertenden und ausgrenzenden Nationalismus – meist organisiert in rechten Parteien – und einen für mich sehr sympathischen, weltoffenen Stolz auf die eigene Region und die eigenen Wurzeln, der andere nicht ausgrenzt oder gar abwertet. In Schottland habe ich nur letzteren erlebt. Die Mehrheit der schottischen Unabhängigkeitsbewegung will – im Gegensatz zur Regierung in London – Schottland weiter in die EU integrieren. Sie will Schottland zum Beispiel komplett auf erneuerbare Energien (Wind- und Wellenkraftwerke) umstellen und diesen Strom europaweit exportieren. Schon dafür muss sich das Land europaweit mehr vernetzen (technisch, politisch und wirtschaftlich). Die Bremser sitzen in London.