von Robert B. Fishman
Meine Radio-Reportage im Deutschlandfunkkultur:
und die Kurzfassung im DLF-Länderreport
Wettringen/Münsterland. Alle zwei Jahre sucht der Allgemeine Deutsche Fahrradclub ADFC Deutschlands fahrradfreundlichste Gemeinde. Gefunden hat er sie im westlichen Münsterland, kurz vor der niederländischen Grenze. 2020 und 2022 gewann die 8.000 Einwohner-Gemeinde Wettringen den Wettbewerb um den Titel fahrradfreundlichste Gemeinde weit vor allen anderen.
Das Wunder beginnt gleich hinter dem Bahnhof der Kleinstadt Rheine. Rot-weiße Schilder weisen den Weg nach Wettringen. Ein glatt geteerter, komplett autofreier Weg führt vorbei an Gewerbegebieten, Bauernhöfen und Siedlungen. Knapp 14 Kilometer sind es nach Wettringen, Deutschlands angeblich fahrradfreundlichster Gemeinde. Die flache Route verläuft auf einer ehemaligen Bahntrasse.
sicher und autofrei von Dorf zu Dorf
Autos begegnet man erst wieder auf der Hauptstraße von Wettringen. Im Schatten der mächtigen Kirche reihen sich rote Klinkerbauten und Bausünden aus den 70er Jahren aneinander. Ein Pizza-Imbiss, ein Buchladen, ein Versicherungsbüro, das Hotel Zur Post eine Bushaltestelle, eine Eisdiele und ein Fahrradhändler, der Räder speziell für große Menschen baut.
Der fast drei Meter breite Bürgersteig dient auch als Radweg. Die meisten Autofahrer halten sich ans Tempolimit. Hier gilt Tempo 30.
Ein Stück die Straße hinunter arbeitet im Rathaus CDU-Bürgermeister Berthold Bültgerds. 2015 haben ihn die Wettringerinnen und Wettringer mit 92 Prozent der Stimmen ins Amt gewählt.
Bültgerds freut sich über die Wahl zur fahrradfreundlichsten Gemeinde Deutschlands. Durchgehende, autofreie Radwege verbinden Wettringen mit allen Nachbargemeinden.
Abseits der Hauptstraße zeigt sich schnell, dass sich Wettringen tatsächlich um die Radfahrerinnen und Radfahrer kümmert. Der Bürgermeister, ein schlanker, sportlicher Typ um die 50, schnappt sich sein Fahrrad und zeigt auf einer Tour, wie gut man in Wettringen mit dem Rad vorankommt. Eine Route folgt- ebenfalls auto- und kreuzungsfrei dem Flüsschen Steinhuder Aa.
Radeln am Fluss
Über eine autofreie Fußgänger- und Fahrrad-Brücke geht es in eine Siedlung mit Einfamilienhäusern. Hier gilt durchgehend Tempo 30. „Die Bewohner danken es uns“, sagt der Bürgermeister und radelt weiter zum Mehrgenerationenpark mit weitläufigem Spielplatz und angrenzendem Sportzentrum.
Jeden Mittwochnachmittag lädt der Heimatverein zu Kaffee und Kuchen auf einen umgebauten alten Bauernhof.
Zwei ältere Herren schnacken op Platt am Rande der im Garten aufgebauten Kaffeetische. Auch sie schätzen die vielen Radwege in Wettringen. „Das hat sich diurch die vielen stillgelegten Bahntrassen hier ergeben“, erklärt einer der beiden, der sich als Vorsitzender des Heimatvereins vorstellt. Er schwärmt von den „wunderschönen Fahrradautobahnen, die er gerne für eine Radtour nutzt. Auch im Ort „fahren die meisten mit dem Fahrrad“. Für kürzere Wege brauche man hier „kein Auto“.
Schutzhütten für Radfahrer*innen
Entlang der Radrouten rund um Wettringen haben Ehrenamtliche Schutzhütten für die Radler gebaut. Bei Regen kann man sich dort unterstellen oder auf einer Radtour ein Picknick einlegen.
So hat Wettringen 2020 und 2022 den Wettbewerb um den Titel „fahrradfreundlichste Gemeinde Deutschlands“ gewonnen. Den Test führt der ADFC seit 20 Jahren durch. Dazu stellt der Verein einen Fragebogen online, den alle Interessierten ausfüllen können. In 20 Minuten ist man damit durch“, verspricht ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. Die teilnehmenden vergeben Schulnoten, aus denen der Club Durschschnittswerte berechnet.
Für ganz Deutschland liegt die Durchschnittsnote bei erbärmlichen 3,9. Wettringen kam auf 2,0. Weil in Großstädten andere Bedingungen herrschen als auf dem Dorf, unterscheidet der Test nach Ortsgröße.
2022 haben fast eine viertel Million Menschen den Online-Fragebogen ausgefüllt.
Siegerin im Fahrrad-Klimatest
Gute Noten vergeben die Teilnehmenden des Fahrrad-Klima-Tests und auch der ADFC für Radwege, die möglichst sicher getrennt vom Autoverkehr durchgehende Verbindungen ohne Unterbrechungen schaffen. Für enge Straßen empfiehlt ADFC-Sprecherin Stephanie Krone die Umwidmung zur Fahrradstraße: „Dann muss es allerdings auch so gemacht sein wie in den Niederlanden, nämlich eine ganz klare Regelung, die auch mit Schildern und mit Farbe geklärt ist.
In Wettringen schätzen die Bürgerinnen und Bürger das Engagement ihrer Gemeinde. In den stillgelegten Bahnhof ist die Kneipe „An de Bahn“ eingezogen. In einer Ecke sitzen zwei ältere Herren beim Bier. Sie kommen gerade von einer Radtour auf der Route, die direkt am alten Bahnhof vorbeiführt. Die Wettringer Radwege mit fast durchgehender Vorfahrt finden sie gut, aber zu schmal. Einer der beiden verweist auf das nahe Nachbarland:
„In Holland haben sie sie breiter. Wir wollen uns unterhalten. Das konnten wir nicht auf dem Fahrradweg.“